Die Arbeiten von Peter Schwalm sind auf erschreckende Art und Weise wahr. Sie suchen nicht das Idyll; sie reflektieren Gesichter, Menschen in ihrem Alltag und die Welt, mit all ihren Schattierungen.
Schwalm ist ein Spurenleser, der alles aufnimmt, was ihn umgibt, der sensibel die Zeichen der Zerrüttung in dieser Welt erkennt und verarbeitet. Er schaut den Menschen, den Einzelnen, auch sich selbst sehr intensiv an und findet zu Ausdeutungen, nicht nur des Physiognomischen, sondern auch des Psychologischen. Seine Reaktion geht vom Ego aus. Von seinem Standpunkt erzählt er, schafft Atmosphäre und Spannung: wägt alles ab: Gewalt, Krieg, Politik und Konsum. Vor allem in den Gesichtsstudien zeigt sich, insbesondere in der Serie der Sölbent-Arbeiten (ein Phantasiebegriff), wie sehr Schwalm die Seelenlagen einfängt. In den Gesichtern spiegelt sich Offenes und Verkrampftes, Banales und Kleinbürgerliches. Die physignomischen Betrachtungen sind in ihrer Eindringlichkeit wie Landschaften, in denen sich unterschiedliche Tempramente, Seelenlagen u.a ablesen lassen: Die Narretei ebenso wie die Schläue, die Verzweiflung ebenso wie die Einsamkeit. Peter Schwalm ist in seiner Betrachtung ehrlich. In eines seiner Bilder schrieb er ein: "Es kann nie schaden ehrlich zu sein, auch wenn es dumm wirkt". Die direkte mitmenschliche und engagierte Haltung, die immer wieder, den, in mehrfacher Hinsicht vergewaltigten Menschen in die Betrachtung nimmt, engagiert sich auch für das Thema der Beziehung zwischen Mann und Frau im gesellschaftlichen Miteinander. Schwalm bezieht hier Position Er zeigt, durch teilweise starke Überzeichnung, die Perversionen auf, die wir, in einer Herr-Männer-Welt lebend, längst schon als gottgegeben und alltäglich hinnehmen. Die Reaktionen auf diese Bilder sind denn auch bezeichnend. Während Frauen auf diese sehr plakative Darstellung des Themas, meist positiv reagieren, haben Männer im allgemeinen mehr Identifikationsschwierigkeiten und fühlen sich buchstäblich auf den Schlips getreten. Die spießige Bemerkung eines kleinen, westfälischen Anzeigenblattes über das Bild "Hermänner Welt", es würde pornografischen Schweinkram beinhalten, zeigt wie sehr Schwalm hier einen Nerv trifft. Während Darstellungen von Frauen in den verrenktesten und erniedrigensten Positionen gesellschaftsfähig geworden ist, empört sich des Volkes Empfinden immer noch über den Anblick des entblößten männlichen Geschlechts. Peter Schwalm beobachtet genau, wie Machtstrukturen, wie Konsumdenken u.a. über die Menschen hinweggehen. Stahlhelm, Hakenkreuz, Maschinengewehr, Gasmaske, Konsumwelt mit dem gesammten Abfall unserer Zeit, sind die Motive, die an seinen ausdrucksvollen Bildinhalten mitarbeiten. Schwalm sieht genau. Er sieht die Angst des Karnevalisten , die Einsamkeit hinter aller vordergündigen Heiterkeit. Er sieht den Tourismus, der mit tausenden von Kameras bewaffnet die Welt erkennen will und doch nichts von ihr erfährt. Schwalm will nicht niederschreien, sondern betroffen machen, möchte sensibilisieren für die Probleme unseres Seins. Seine engagierte realistische Malerei stimmt nachdenklich und die Traurigkeit, die sie zum Teil auslöst, ist ein Moment der Hoffnung.
Da stehen sie, die drei modernen Autorenn-fahrer, die gerade aus ihren schnellen Wagen gestiegen sind, den Helm noch locker in der Hand, stellen sie sich grinsend zum Gruppenbild auf. Mit Ihren Overalls voll bunter Embleme von Marken-konsumartikeln gleichen sie lebenden Litfaß-säulen.
Hommage an Ernst Litfaß ist denn auch der Titel dieses großformatigen Ölgemäldes. Schwalm malt realistisch. Eines seiner Lieblingsthemen ist die menschliche Oberflächlichkeit, die sich unter dem Gütesiegel eines Designerproduktes als Lebensgefühl verkleidet hat. Das Image eines bestimmten Produkts wird die neue Fassade, die neue Maske des Menschen, hinter der er sein armseliges Ego verbergen kann. Doch dieses Versteckspiel funktioniert in Schwalms Bildern nicht mehr. Gezielt hält er gerade jene Momente fest, in denen die Maske verrutscht oder die Physiognomie sich ins Groteske übersteigert. Und dabei muß er nicht eimal karikieren, obwohl die Gesichter seiner Helden diesen Eindruck erwecken. Die drei Rennfahrer sehen auf den ersten Blick so dämlich drein, daß man ihnen kaum zutraut, einigermaßen geradeaus fahren zu können. Doch bei näherem Hinsehen erkennt man die verunglückte Pose. Es scheint fast, als seien ihre Gesichter unter der Image-Pluralität, die sie auf ihren Anzügen verkörpern, zu wilden Grimassen verzerrt. Eine kurvige Falte für Ford, ein gerümpfter Nasenflügel für Boss und ein lässiger Mundwinkel für Marlboro. Der Mensch ein Produkt der Werbung? Eines der Lieblingsobjekte von Schwalm sind Bodybuilder beim Training. Unter dem satirischen Titel "mens sana in corpore sano" (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) präsentiert er schmerzverzerrte Gesichter, in denen man allerdings den Geist vergeblich sucht. In dieser Spielart, in der ein gestählter Bizeps schon zur Erkenntnis wird, zeigt sich für Schwalm nichts mehr vom Lebensideal der alten Griechen, sondern, daß sich der Mensch bis zum Design seines Körpers den Geschmackstrends der Werbewirtschaft unterworfen hat. Das erwünschte Leben ist der Werbe-Clip. Und den schaut man nicht mehr mit dem bloßen Auge, sondern durch die Linse einer Kamera. Die Kamera, die die Weltsicht verengt, ist für den Betrachter die Perspektive, aus der sich ihm die Bilder darbieten. Thematisiert ist dieser Blickwinkel in dem Ölgemälde Herrmänner-Welt.
Die sechs völlig identischen Herrmänner, die da vor der Post- kartenidylle Frankfurts aufgebaut sind, ver- suchen das halbent- blößte Fotomodell in ihrer Mitte nicht etwa in ein Gespräch zu verwickeln oder verstohlen zu begutachten. Nein. Sie halten ganz unverfroren ihre Objektive auf das Objekt der Lust oder schauen, wenn sie keine Kamera haben, desinterressiert weg. Die Wirklichkeit wird auf das Fotomotiv reduziert. Schwalms Bilder muten an, wie verunglückte Fotografien: Der Auslöser wurde im falschen Moment gedrückt. Auf diesen Moment kommt es dem Maler an. Hier wird Wirklichkeit sichtbar. Es scheint, als suche er seine Motive in den Papierkörben der Fotoagenturen. Was dort Ausschuß ist, ist für ihn Thema. So gesehen ist er ein moralischer Maler. Ein Skeptiker dazu, der, wie der Narr des 16. Jahrhunderts der Welt den Spiegel vohält. Dieser Spiegel sind seine Bilder.